Montag, 5. August 2013

selbstverwirklichungszwang, der

Folgender Text ist quasi die Fortsetzung zu Sparflammen-Selbstverwirklichung. Dort ging es um die Qual der (Studienplatz-)Wahl - und um eine getroffene Entscheidung. Und zwar die, all die sicheren Pläne über den Haufen zu werfen. Leute, nun wird's konkret - und spannend:
 
Es ist Samstagabend und sie verbringt den Abend nicht mit ihren Freunden. Schwingt nicht bei den King Kong Kicks die Hüften zu "Not In Love" von den Crystal Castles, sodass die Falten des schwarzen Ausgehkleides, das Spitze in jederlei Hinsicht ist, aufspringen. Und verliebt sich nicht unsterblich in den gut und zugleich wirr aussehenden Lebenskünstler, dessen Stempel auf dem Handrücken noch nicht getrocknet sein kann, weil sein Erscheinen ein Ereignis der vergangenen 2 Minuten ist.


Es ist Samstagabend und sie verbringt den Abend zwischen Immobilienscout24 und WG gesucht, vagen Vorstellungen und konfliktreichen Kompromissen, großen Plänen und größer werdender Zeitnot - oder kurz: auf Wohnungssuche. Wer im Netz nach Wohnungen fischt, muss nicht gut aussehen: Sie trägt ein ausgewaschenes T-Shirt und eine abgeliebte, rosa Schlafanzuhose, die sie durch ihre Jugend begleitet hat. Auf ihrem Gesicht wirkt eine Entspannungsmaske mit Kiwi-Litschiduft ein. Ob sie wirkt, kann sie nicht sagen - sie könnte es aber gebrauchen. Denn es sind nicht nur lichtdurchflutete, bezahlbare, renovierte Quadratmeter Wohnfläche, die sie sucht - sondern auch Orientierung, Halt - aber nicht an bunten Strohhalmen, die aus Cocktailgläsern emporragen. Klar sind nur die Fakten, die der Kopf schwarz auf weiß registriert hat, das Herz aber erst sortieren, kategorisieren, interpretieren muss: Sie wird Klassenzimmer gegen Hörsaal tauschen. Klassenkameraden gegen Kommilitonen. Schulwissen gegen Journalistik. Schleswig-Holstein gegen Nordrhein-Westfalen. Heimat gegen ... Zuhause.

Spätestens in zwei Monaten, wenn sie mit erstsemestertypischer Unsicherheit und ihrer Umhängetasche im Schoolbag-Look (die sie schon erkauft hatte, bevor sie überhaupt wusste, dass zwischen Heimat und Universität vier Autostunden liegen würden) über den Campus Nord der TU Dortmund läuft, wird sie begreifen: Ab jetzt, ab hier, ab genau diesem Atemzug wird die geplante Zukunft zur gelebten Gegenwart. Ein seltsames Gefühl - vielleicht sogar ein ganz für sich selbst interpretiertes I'm-A-Legal-Alien-Gefühl, das Sting 1988 besang. Vielleicht schließen sich Ankommen und Auf der Stecke bleiben - irgendwo auf der A1 zwischen Bremen und Osnabrück - nicht aus. Vielleicht. Vielleicht. Sie will keine wirren Spekulationen, vorschnellen, persönlichen Bedeutungen hinter der Tatsache, dass der erste Eintrag, der sich beim Eintippen ihrer zukünftigen Heimatstadt ins Google-Suchfeld ergibt, der eines Fußballvereins ist, keine wilden Mutmaßungen - nur Mut. Und die Gewissheit, dass dort, wo ein Wille ist, sich auch ein Weg findet - egal, ob er über eine menschenüberfüllte Tanzfläche oder einen Universitätscampus führt.

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