2003. Eine Drittklässlerin wartet mit ihrem Sandkastenfreund und Seit-dem-ersten-Schultag-Sitznachbarn an der Ampel und erklärt ihm, dass sie, wenn sie groß ist, auf jeden Fall Schriftstellerin (sie sagt „Nachfolgerin Astrid Lindgrens“) wird.
Er findet es gut. Er findet sie gut.
Ihr Haar, hellblond wie Kornähren, ist zu zwei Zöpfen geflochten, die ebenfalls an Kornähren erinnern. Gut, dass sie das mit dem Heiraten schon zwischen Sandspielzeug und Bauklötzen schon abgesprochen, sich einander versprochen, haben.
Die Ampel springt um. Ein grünes, laufendes Männchen ermutigt zum Überqueren der Straße.
Sie lächelt. Alles in Ordnung.
2013. Eine Dreizehntklässlerin pendelt zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her. Gar nichts ist in Ordnung.
In der Küche bereitet sie einen Couscous-Salat vor. Im Wohnzimmer ihr restliches Leben.
Es ist ein sonniger, vogelstimmenerfüllter Donnerstagvormittag im Frühling. Sie hat drei Freistunden. Es werden die letzten ihrer Schulzeit sein. Woher sie das weiß? Nun ja, die Schulzeit ist fast vorüber. Der Sandkastenfreund und Seit-der-fünften-Klasse-nicht-mehr-Sitznachbar befindet sich längst sehr viel weiter südlich in Deutschland.
Ihr Haar ist nachgedunkelt – ihre Zukunftsaussichten sind es ebenfalls. Eigentlich war alles klar, geplant, durchdacht zumindest am Anfang der Oberstufe, als Abitur noch wie eine fremde Vokabel aus dem nie gehabten Lateinunterricht klang. Es hatte doch alles Sinn gemacht. Rationalität und Pragmatismus konkurrieren um ihren zweiten Vornamen. Nie hat sie sich in Leidenschaften verloren. Nie hat sie im Kino geweint – nicht einmal als Kind bei „Bambi“. Doch in diesem Moment dämmert ihr eine jahrealte Erinnerung - und der Verdacht, dass das, was sie sich als Selbstverwirklichung anrechnet, nur auf Sparflamme brennt.
Sie weiß, warum.
Wenn sie ihre Träume auf Sparflamme vor sich hin flackern lässt, läuft sie nicht Gefahr irgendwann den rauchenden (Brand-)Ruinen ihres Lebens gegenüberzustehen.
Sie geht auf und ab. Klickt sich durch Seiten, Städte, Studiengänge. Sie weiß, was sie will. Selbstverwirklichung statt Sicherheit. Keine akribisch genauen Pro-Contra-Listen, sondern ihr Bauchgefühl als Entscheidungshilfe.
Trotz Salz, Pfeffer, Zitrone und Tomatenmark schmeckt der Couscous-Salat fad.
Mit ihrem Leben soll ihr das nicht so ergehen. Beschließt sie. Und beschließt etwas. ♥
Oh Gott, ich hätte bei dem Text fast angefangen zu weinen!!! Mir ist es letztes Jahr fast genau so ergangen, ich wollte auch statt Sicherheit Selbtverwirklichung und ich habe es getan und es war definitiv die beste Entscheidung, die ich hätte machen können! Trotzdem, in letzter Zeit denke ich so viel über die Vergangenheit nach, als wär ich ne Oma :D Die ganze Zeit schreibe ich ins Tagebuch "Damals..." usw. und ich will, dass alles so wie früher ist und lese alte Tagebücher und durchsuche alte Kartons nach Kindheitserinnerungen...
AntwortenLöschenWie auch immer, dein Text ist auf jeden Fall wundervoll geschrieben und ich wünsche dir ganz viel Glück für die Zukunft! :)
Wunderschöner Text! Ich hoffe du wirst deine Entscheidung nie bereuen. :)
AntwortenLöschenBewegender Text, traumhafte Bilder. Wer sich so mit Worten ausdrücken kann, sollte dieses Talent nicht ungenutzt lassen und seinem Traum folgen! Ich bin sehr gespannt, wie es in deinem Leben weiter gehen wird und freue mich, mehr zu hören ♥
AntwortenLöschenGanz liebe Grüße!
Llew
Total schön geschrieben <3
AntwortenLöschenIch habe mich in einer ähnlichen Situation befunden nach dem Abi,
ich war total unentschlossen und traurig, studium angefangen, studium abgebrochen..
und jetzt, drei Jahre später mache ich ein langzeitpraktikum und bin endlich angekommen.
Wen interessierts ob ich wie alle anderen dieses Jahr meine Bachelorarbeit abgebe?
Drauf geschissen, das wichtigste im Leben ist das Glücklichsein,
egal in welcher Form es erreicht wird!
Liebst, Lara
http://laraliebt.blogspot.de/
Du schreibst wunderschön! Ich mag deinen Blog sehr!
AntwortenLöschenLiebe Grüße die Anne
♥
AntwortenLöschenWas beschließt sie denn? :O
AntwortenLöschenEin ganz wunderbarer Text, du greifst da eine Menge verschiedener toll gewählter Bilder auf, die das Ganze sehr anschaulich machen und dem Text gleichzeitig eine gewisse Melancholie geben, durch die fast schon zu realistischen, wenig märchenhaften Begriffe (wie Sparflamme). Würde sehr gerne mehr in die Richtung lesen.
Und zum Inhalt: Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit ähnlichen Themen beschäftigt, auch auf meinem Blog, allerdings weniger poetisch. Und weiß trotzdem nicht wirklich, was ich dir sagen soll. Außer: Bei einer Entscheidung fürs ganze Leben muss man immer aufs Herz hören. Danach ergibt sich alles andere. Erfolgreich kann nur sein, wer das liebt, was er tut, und glücklich sowieso. Und Sicherheit ist bei den meisten Studiengängen ohnehin ein Mythos.